Europa,  Radfahren

Baden-Württemberg: Drei Tage auf dem Kocher-Jagst-Radweg

Regen prasselt mir ins Gesicht, und ich bin glücklich.
Seit Stunden schon sitze im Sattel, radel an Flussufern entlang, über Felder und durch Wälder, in deren Baumkronen der dichte Nebel festhängt. Mittlerweile bin ich klitschnass, und doch wäre ich an diesem Dienstagvormittag nirgendwo lieber.

Es hat sich ziemlich spontan ergeben, dass ich für drei Etappen auf dem Kocher-Jagst-Radweg unterwegs sein darf. Diese Rundtour im Herzen Baden-Württembergs trägt den Namen der beiden Flüsse Kocher und Jagst. Die offizielle Route führt am einen rauf (Jagst) am anderen wieder runter (Kocher).
Dazwischen liegt Vielfalt: grüne, dicht bewachsene Täler, aussichtsreiche Hochebenen, Wälder, Obstwiesen, Weinberge. Und echte Fachwerk-Romantik in fast jedem Ort entlang der Route.

Allzu viel bekomme ich von all dem auf dieser ersten Etappe nicht zu sehen, weil sich ein Vorhang aus Regen und Nebel über die Landschaft spannt. Für mich aber ist diese Rundtour genau das, was ich gesucht habe – das weiß ich. Ich möchte eine Ecke Deutschlands erkunden, die ich noch nicht kenne. Und die Fahrradsaison dort gebührend verabschieden. Möchte mich fühlen wie auf Reisen: in Rosenheim in den Zug einsteigen, in einer anderen Welt wieder aussteigen. Nach einer Fahrzeit, die nicht mehr als einen halben Tag ausfüllt.

Letzteres klingt nach hohen Erwartungen, ich weiß. Und doch musste ich nicht lange recherchieren, um genau die Radroute zu finden, die meinen Wunsch erfüllt.

Willkommen auf dem Kocher-Jagst-Radweg!


Werbehinweis: Ich bin glücklich, dass ich mit für diese Radtour mit Tourismus Baden-Württemberg und der Touristikgemeinschaft Hohenlohe + Schwäbisch Hall Tourismus e.V. zusammenarbeiten darf. Die Reise auf dem Kocher-Jagst-Radweg habe ich auf Einladung der Region erlebt, daher gilt dieser Artikel als Werbung für diese Kooperationspartner. Meine Meinung wird dadurch aber freilich nicht beeinflusst.


Etappe 1 | Von Ellwangen nach Kirchberg an der Jagst

Als ich an diesem Morgen mein Fahrrad über den gepflasterten Stadtplatz von Ellwangen schiebe, ist der Kirchturm der Basilika von Nebel umhüllt. Vor dem grauen Himmel strahlen die bunten Häuserfassaden der Altstadt umso mehr. Schwalben ziehen ihre Kreise um die Dächer, ich steuere auf den nächsten Wegweiser zu.
An der Jagst beginnt heute meine Radreise, die mich drei Tage lang durch das Herz Baden-Württembergs führen wird.

Die ersten Kilometer entlang des Flussufers sind mystisch, fast tropisch, wäre es wärmer. Das Wasser gluckert leise, während dichte Vegetation alles andere abschirmt. Der Nebel hängt zwischen den Baumkronen, die Luft ist feucht, der Grünspecht ruft und die Kraniche spazieren über die Wiesen.
Während ich überlege, wann ich zuletzt so viele unterschiedliche Vögel auf einmal beobachtet habe, fällt mein Blick auf eine Infotafel am Wegesrand: das Jagsttal ist das Zuhause einer seltenen Artenvielfalt. Hier sind Tiere heimisch, die andernorts längst verschwunden sind. Der auffällige Eisvogel zum Beispiel, Wasserfrösche, Störche, Feuersalamander und Biber. Außerdem ein paar Schmetterlingsarten, die in Deutschland selten gesichtet werden. Sie alle leben gemeinsam entlang der Jagst. Und während meiner Pause komme ich mir fast vor wie auf Safari.

Als ich hier eine Weile sitze, an diesem überdachten Pausenplatz, und den Kranich beobachte, der jedes Mal aufschreckt und seine Federn aufstellt, wenn er den Grünspecht rufen hört, rollt ein Paar auf seinen Fahrrädern heran.
Bei Nieselregen können sie gar nicht anders, als ebenfalls kurz unter dem Dach zu stoppen. Und wir kommen ins Gespräch.

Ich schätze beide auf Mitte 60. Während sie zu den Menschen gehört, die permanent zu lächeln scheinen, ist er stumm fasziniert von der Artenvielfalt auf der Wiese vor uns, kann seinen Blick kaum von den Vögeln abwenden.

Zusammen würden sie jeden Herbst eine große Radtour unternehmen, erzählen sie mir. Sie seien zwar auf der Schwäbischen Alb zuhause, aber auf dem Kocher-Jagst-Radweg noch nie unterwegs gewesen. Und obwohl sie in ihrer Heimat unterwegs seien, würden sie sich hier fühlen wie früher, als sie größere Reisen unternommen haben.
„Wir sind seit sechs Tagen unterwegs, die fühlen sich locker an wie sechs Wochen!“, sagt sie mit einem Strahlen und verspricht mir im nächsten Satz:

„Wart’s mal ab, deine drei Tage hier werden dir vorkommen wie Wochen!“

Etappe 2 | Von Kirchberg an der Jagst nach Schwäbisch Hall

Der Himmel glüht dunkelblau, als ich am zweiten Morgen aufs Fahrrad steige. Der helle Mond steht noch weit oben, gleichzeitig verändert der Horizont im Osten langsam seine Farbe.
Was mich gerade aber am meisten freut: Es steht keine Wolke am Himmel, die Luft ist kühl und frisch. Die perfekte Vorschau auf einen goldenen Herbsttag. Nebel und Wolken von gestern scheinen über die Hügellandschaft hinweggezogen zu sein.

Die ersten Kilometer fühlen sich an wie aus dem Märchenbuch. Während die Vögel anfangen zu zwitschern, die Landschaft von blau-silber in ein warmes Orange wechselt, kann ich mich kaum entscheiden:
Stehen bleiben und Staunen?
Oder die Landschaft mit Freiheit im Fahrtwind an mir vorüberziehen lassen?

Ich mache beides. Und weiß gar nicht, wohin mit meinem Glück. So schön liegt die Hügellandschaft im Herzen Baden-Württembergs vor mir.

An diesem Tag mache ich viele Pausen. Nicht, weil die Etappe so anstrengend ist. Sondern, weil sich immer wieder eine gute Gelegenheit ergibt. Oder der Ausblick viel zu schön ist, um weiterzufahren.

Während ich meine Jacke auf dem Feld ausbreite und mir in dieser warmen Pause fast die Augen zufallen, kommt mir der Satz der Radfahrerin in den Sinn, mit der ich gestern noch Unterschlupf im Regen gesucht habe.

Wart’s mal ab, deine drei Tage hier werden dir vorkommen wie Wochen!

War das wirklich erst gestern? Diese Begegnung, die Kraniche und der Grünspecht, die bunten Häuser Ellwangens vor dem grauen Himmel?
Seither bin ich keine hundert Kilometer geradelt, noch keine 48 Stunden ist es her, dass ich zuhause in Rosenheim mit meinem Fahrrad in den Zug gestiegen bin. Und jetzt liege ich hier, die Sonne im Gesicht, über mir nichts als Blau, und habe das Gefühl, ich wäre schon ewig unterwegs.

Auf meinem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus. So fühlt sich Freiheit an.

Von diesen ausgedehnten Pausen in der Sonne mache ich während dieser Etappe noch mehrere. Wenn es so etwas gibt, wie einen perfekten Herbsttag – dann ist das heute einer. Als in einer dieser Pausen auf meinem Smartphone ein Wetterupdate für morgen auftaucht, eine Warnung vor Orkan, bleibe ich erst recht noch ein kleines bisschen länger sitzen.

Wer weiß schon, wie lange das Radfahren noch so perfekt ist. Bei so mancher Abfahrt konnte ich gar nicht anders, als klamm heimlich einen Glücksschrei rauszulassen.

Etappe 3 | Von Schwäbisch Hall nach Crailsheim

Anstatt im Sattel, sitze ich an diesem Morgen im Sessel: mit einer Tasse Tee über die verschiedensten Wetterprognosen gebeugt. Es ist eine Flut von Informationen, die ich dennoch recht einfach zusammenfassen kann:

Es treten Windgeschwindigkeiten von bis zu 75 km/h auf.

Oberhalb von 400 Metern treten orkanartige Böen mit bis zu 110 km/h auf.

Es können Bäume entwurzelt und Dächer abgedeckt werden.

Abstand zu Bäumen, Gebäuden und Hochspannungsleitungen halten.

Aktivitäten im Freien meiden.

Für meine heutige Etappe, die mich über Hochebenen und durch den Wald führen sollte, sind das sicher nicht die besten Voraussetzungen. Der Blick aus dem Fenster ist dennoch weit weniger dramatisch. Vielleicht aber trügt der Schein: Denn Schwäbisch Hall, mein Endpunkt gestern und Startpunkt heute, liegt in einem Kessel. Ich kann schwer sagen, wie stark der Sturm tatsächlich in der Region angekommen ist.

Mit einem Mix aus Bauchgefühl, Vernunft und Motivation treffe ich bei der zweiten Tasse Tee schließlich eine Entscheidung, mit der ich mich wohlfühle:
Ich radel los, weil die ersten Kilometer direkt nach oben führen. Und dann schaue ich, wie sich die ganze Situation dort anfühlt. Dem Wind ausgesetzt.

Es ist eine komische Stimmung auf diesen ersten Kilometern der Etappe. Ich bin seltsam vorsichtig, rings um mich weht kaum ein Lüftchen, die Uferpromenade in Schwäbisch Hall wirklich seltsam leer für diesen Donnerstag-Vormittag. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm.

Und das war es auch. Das weiß ich ein paar Kilometer später, nachdem ich im kleinsten Gang eine Weile bergauf gefahren bin.
Ich komme an auf einer flachen Ebene. Die nächste Windböe schiebt mich mit so einer Wucht nach vorne, dass ich gar nicht mehr in die Pedale treten muss. Westwind. Prinzipiell ist das gut, denn ich muss Richtung Osten.

Ich sehe mich um.
Über Schwäbisch Hall türmen sich dunkelblaue Wolken in den Himmel, die so schnell ziehen, dass ich es mit bloßem Auge beobachten kann. Würde ich jetzt ein Video aufnehmen, es würde aussehen wie vorgespult.
Tief über den Feldern ist zwischen den Böen ein Schwarm Schwalben in der Luft. Sobald der Wind auffrischt, tanzen sie, werden umhergeworfen, singen aufgeregt.

Ich aber, ich fühle mich wohl. Es gibt keine Bäume in der Nähe, der Wind kommt meist von hinten. Fahrradfahren fühlt sich an wie fliegen.

Als ich später vor dem kleinen Ort Eckartshausen durch eine Allee radle und mein Fahrrad an umgestürzten Bäumen vorbei schieben muss, da ändert sich dieses Gefühl. Weil ich heute Morgen die Route so ausgiebig studiert habe, weiß ich auch, dass diese Bäume erst der Anfang sind. Die Etappe ist zwar nicht mehr lang – noch rund 14 Kilometer sind es von hier bis nach Crailsheim – führt aber wieder ein paar Höhenmeter nach oben und durch den Wald.
Auch, wenn die Entscheidung meinem Fahrradherzen wehtut, brauche ich für sie nicht lange: Ich höre auf mein Bauchgefühl und biege zum kleinen Bahnhof in Eckartshausen ab. Will mein Glück nicht herausfordern, kein Risiko eingehen. Den Kocher-Jagst-Radweg viel lieber mit all der Freiheit in Erinnerung behalten, die er mir auf jeder der drei Etappen geschenkt hat.

Als ich eine Station später aus dem Regionalzug aussteige, fühle ich mich trotzdem etwas verloren.

Gerade auf den letzten Kilometern einer mehrtägigen Tour bin ich meistens am langsamsten unterwegs. Mache viele Pausen, genieße ganz bewusst. Verabschiede mich vom Trail.
Hier ging der Abschied viel zu schnell, die letzten Kilometer sind am Zugfenster regelrecht vorbeigeflogen.

Aber ich kann wiederkommen – dieser Trost kommt mir schnell in den Sinn. Denn obwohl mir der Kocher-Jagst-Radweg ein Gefühl geschenkt hat wie auf Reisen, bin ich nur drei Stunden im Zug unterwegs, um hier anzukommen. Und es stimmt, was mir die Radfahrerin am ersten Tag versprochen hat:

Meine drei Tage hier kommen mir vor wie Wochen.

Das habe ich der Vielfalt zu verdanken, dem Staunen nach all den Kurven, den kleinen Fachwerk-Gassen und bunten Wäldern. Dem Regen, der Sonne und dem Wind.
Von alledem kann ich gar nicht genug kriegen und verspreche mir in diesem Moment, dass ich mich beim nächsten Mal ordentlich verabschiede.

Tipps für den Kocher-Jagst-Radweg

An- und Abreise

Beinahe jede einzelne Etappe des Kocher-Jagst-Radwegs ist gut an das Schienennetz angebunden. Von den ICE-Knotenpunkten Stuttgart, Würzburg, Karlsruhe und Ulm bestehen Direktverbindungen zu verschiedenen Bahnhöfen entlang des Radwegs.

Hier geht’s zu einer guten Übersicht der wichtigsten Bahnhöfe und Haltestellen zwischen Kocher und Jagst.

Wichtig zu wissen: Für den Zug brauchen wir ein extra Fahrradticket und können nur Verbindungen nutzen, die den Radtransport unterstützen. Wer zum Beispiel über www.bahn.de bucht, kann sich bei der Reiseauskunft unter Weitere Optionen nur Verbindungen mit verfügbaren Fahrradstellplätzen anzeigen lassen. Das Fahrradticket sowie der reservierte Stellplatz für das Rad werden dann automatisch zu unserer Fahrkarte hinzu gebucht.

Orientierung

Wie immer habe ich mir vorher alle Etappen als geplante Tour auf komoot angelegt – und die Tracks dann auf meine GPS-Uhr gezogen. Das wäre hier aber gar nicht nötig gewesen, weil die Route wunderbar in beide Fahrtrichtungen ausgeschildert ist. Auch alle 13 Querverbindungen sind mit ihrer jeweiligen Nummer auf den Wegweisern markiert.

Übernachtung und Verpflegung

Die Route des Kocher-Jagst-Radwegs ist so angelegt, dass wir immer wieder schöne Orte entlang der Strecke passieren. Die offiziellen Etappen beginnen und enden jeweils in einer Ortschaft, in der es gute Übernachtungsmöglichkeiten gibt, außerdem Gasthäuser und Einkaufsmöglichkeiten.
Die gibt es auch tagsüber entlang der Route immer wieder.
Ich selbst habe in meiner Unterkunft gefrühstückt und mir eine kleine Brotzeit für mittags besorgt, um flexibler zu sein. Abends habe ich mich dann mit einem leckeren Essen belohnt.

Sehenswürdigkeiten

Wo soll ich nur anfangen? Die Route des Kocher-Jagst-Radwegs ist gespickt von spannenden Orten.
Das sind schöne Natur-Sehenswürdigkeiten, wie beispielsweise das Naturschutzgebiet Jagsttal und die Ufergebiete entlang der Jagst, die das zuhause einer seltenen Artenvielfalt sind.
Außerdem liegen entlang der Route zahlreiche Orte mit mittelalterlichen Stadtkernen, Burgen, Schlössern und panoramareichen Aussichtspunkten.

Entlang der drei Etappen, die ich auf dem Kocher-Jagst-Radweg unterwegs war, waren die Highlights unter den Sehenswürdigkeiten für mich:

Der wahnsinnig schöne Ort Kirchberg an der Jagst mit seinem Schloss, dem Stadttor und all den kleinen Gassen, die zwischen Fachwerk-Häusern hindurch führen.

Das Naturschutzgebiet Jagsttal mit Seitentälern zwischen Crailsheim und Kirchberg. So viele Vögel habe ich schon lange nicht mehr in so kurzer Zeit gesehen.

Der Marktplatz und die Uferpromenade entlang des Kocher in Schwäbisch Hall. Ein wunderschönes Labyrinth aus Gassen, Fachwerk und Treppen.

Der kleine Ort Vellberg mit seinem mittelalterlichem Stadtkern und echter Fachwerk-Romantik.

Hier geht zu einer guten Übersicht mit allen Sehenswürdigkeiten entlang des Kocher-Jagst-Radwegs. Inklusive Sortierfunktion für die bevorzugte Kategorie.

Meine Route

Meine Route im Detail – inklusive Highlights entlang des Weges und Download der GPS-Tracks – findest du in einer Collection auf meinem Komoot-Profil.

Weitere Radrouten in Baden-Württemberg

Der Kocher-Jagst-Radweg ist freilich nicht die einzige Route, auf der es sich Baden-Württemberg erradeln lässt: es gibt 19 ausgewiesene Fernradwege, zusammen sind sie 4.500 Kilometer lang.

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