Europa,  Wandern

Im Urwald der Alpen: Der unberührteste Ort Österreichs

Fast jeder meiner Schritte ist Auslöser für eine neue Vogelstimme. Und da ich an diesem Tag ungefähr 20.000 Schritte zurücklege, höre ich früh damit auf, die Vogelgesänge mitzuzählen. Sowieso fällt es mir schwer, mich nicht ablenken zu lassen: Hier schlägt ein Hase seine Haken zwischen den Stämmen, dort huscht ein Salamander durchs trockene Laub. Ein Specht, ein Kauz, der gurgelnde Bach: Es vergeht kein Moment, in denen der Wald stumm bleibt.
Immer wieder schlagen die Vögel Alarm, weil ich ihren Weg kreuze. Und ich komme nicht umher, mich wie ein Eindringling in einer Welt zu fühlen, die rar geworden ist in unserer Zeit.

Er liegt am Fuße des 1.878 Meter hohen Dürrenstein: einer der letzten Urwälder Europas. In die Natur des Wildnisgebiets Dürrenstein-Lassingtal wird teilweise schon seit der Eiszeit nicht mehr eingegriffen. Sprich: seit 12.000 Jahren kann sich der Wald hier so entwickeln, wie er es eben auf ganz natürliche Weise tut.

Das zahlt sich heute aus: Mittlerweile gilt das Wildnisgebiet als UNESCO Weltnaturerbe und steht mit seiner wilden Artenvielfalt in einer Reihe mit dem Grand Canyon, dem Yellowstone-Nationalpark und den Galapagos-Inseln. Von dem wilden Idyll der Alpen aber weiß kaum jemand.


Werbehinweis: Ich bin glücklich, dass ich mit Niederösterreich Werbung zusammenarbeiten darf. Die Wanderung im Wildnisgebiet Dürrenstein habe ich auf Einladung der Region erlebt, daher gilt dieser Artikel als Werbung für diesen Kooperationspartner. Meine Meinung wird dadurch aber freilich nicht beeinflusst.


Wald oder Urwald?

„Ein Urwald hat nie eine Axt gesehen.“ Das sagt Stefan Schörghuber. Er ist Forstwirt, Wildbiologe und Mitarbeiter der Österreichischen Bundesforste. Sein Arbeitsplatz ist das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal. In manche Bereiche des Wildnisgebiets hat der Mensch seit der Eiszeit nicht eingegriffen. Fallen Bäume um, bleiben sie liegen. Es wird kein Netzwerk an Wanderwegen angelegt, Bachläufe werden nicht verändert, Lawinenhänge nicht geschützt.

In kurz: Der Wald darf Wald sein, ohne dass der Mensch sich einmischt.

Ungefähr so lässt sich die Definition zusammenfassen, nach der ein Wald zum Urwald wird. Und einer bleibt. Denn: Geht er einmal verloren, der Urwald, bekommen wir ihn nicht wieder zurück.
Was hier auf Papier recht simpel klingen mag, ist in der Praxis alles andere als selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Urwälder haben sich in der heutigen Zeit zu einem immer seltener werdenden Phänomen entwickelt.

Die letzten großen Urwälder

Die letzten, großen Urwälder finden sich in Russland, Kanada und in Brasilien. Während die Flächen dort mehrere Hundert Millionen Hektar groß sind, sind Urwälder in Europa beinahe ausgestorben. Wir müssen ganz genau hinsehen, um die verbleibenden Reste auf der Karte zu erspähen.

Sie sind gut gehütete Ausnahmen: Der Białowieża-Urwald entlang der polnisch-weißrussischen Grenze etwa. Eine Region im Făgăraș-Gebirge in Rumänien – sowie das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal in Niederösterreich.

Dass der heute letzte Urwald im Alpenraum unter besonderem Schutz steht, ist frühzeitigem Engagement zu verdanken: Bereits 1874 wurde ein der letzte Urwaldrest unter Schutz gestellt. In den darauffolgenden Jahrzehnten erfolgte die offizielle Ernennung zum Naturschutzgebiet und die Auszeichnung als UNESCO Welterbestätte – außerdem hat sich die geschützte Fläche in mehreren Schritten weiter vergrößern dürfen.

Das Wachstum des Wildnisgebiets dauert bis heute an: Im August 2021 verdoppelte sich das Schutzgebiet Dürrenstein in Niederösterreich auf das 7.000 Hektar große Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal bis in die Steiermark.

Was es bedeutet, durch diese echte Wildnis zu laufen, das macht sich vor allem für jene bemerkbar, die genauer hinsehen.

Im größten Urwaldrest Mitteleuropas wachsen, teils seit über 500 Jahren, Fichten und Tannen, die heute über 50 Meter hoch in den Himmel ragen. Manche stehen so dicht beisammen, dass es die Sonne auch an langen Tagen nur mit ein paar Strahlen auf den dicht bewachsenen Waldboden schafft.

Als ich früh am Morgen zu meiner Wanderung im Wildnisgebiet aufbreche, begleitet von den Vogelstimmen, den Hasen und Salamandern, wird der Wald dichter und das Flussufer lauter, je weiter ich das Tal nach hinten laufe. Nebel steht am Waldboden, den die Wärme später erst vertreiben wird.

Glasklares Wasser schneidet einen Graben durch die Berge, die sich rechts und links steil emporheben. In manchen dieser Felswände nisten Vögel, von anderen rinnt Wasser in feinen Bahnen hinunter. Es gluckert und gurgelt manchmal lauter als das Geräusch, das meine Wanderschuhe auf dem Laubboden hinterlassen.

Und egal, wo ich hinblicke: Überall gibt es irgendetwas zu sehen. 

Ein paar einzelne Blüten etwa, die es im Schatten der großen Bäume dennoch aus dem Boden schaffen. Hier ein weißer Farbklecks, dort ein gelber.

Die dominierende Farbe aber ist Grün in allen erdenklichen Farbtönen. Grün beginnt beim Moos auf dem Boden und reicht bis zu den Sonnenstrahlen, die im dichten Blätterdach brechen. Sogar manche Baumstämme sind so dicht von Moos bewachsen, dass Farne auf ihnen wachsen. An anderer Stelle hängen Äste und Ranken aus den Baumkronen wie Lianen.

Die Tiere im Urwald der Alpen

Im letzten Urwald der Alpen sind Tiere zu Hause, die anderswo nur selten zu finden sind – oder bereits als ausgestorben gegolten haben. Der Habichtskauz etwa, der in Österreich lange nicht mehr zu finden war, ist im Wildnisgebiet wieder heimisch. Er teilt sich seinen Lebensraum mit anderen seltenen Arten. Darunter Schneemaus und Alpenspitzmaus. Alpensalamander und Luchs.

Auch Bären und Wölfe nutzen die unberührte Natur manchmal als Zwischenstopp, wenn sie von slowenischer Seite aus einwandern.

Erlebe den Urwald der Alpen selbst

Informieren im Haus der Wildnis

Der kleine Ort Lunz am See ist ein guter Ausgangspunkt, um das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal zu erkunden. Das recht neu errichtete Weltnaturerbezentrum Haus der Wildnis vermittelt in einer interaktiven Ausstellung Hintergrundwissen über den Urwald der Alpen.

Mit VR-Brillen haben Besucher*innen beispielsweise die Möglichkeit, alle Jahreszeiten im Wildnisgebiet zu erleben. Oder die Landschaft wie ein Habichtskauz aus der Vogelperspektive zu entdecken. Andere Stationen stellen auf Knopfdruck dar, dass nicht nur Tiere, sondern auch Bäume untereinander kommunizieren. Zum Beispiel bei Borkenkäferbefall. Und wie sich die Natur zurückentwickelt, sobald der Mensch die Axt liegen lässt.

Weitere Informationen unter www.haus-der-wildnis.at.

Führungen im Wildnisgebiet

Führungen und Exkursionen sind zum Schutz der einzigartigen Natur stark reglementiert: Pro Jahr sind nur wenige Wanderungen unter der Leitung von Wildnis-Rangern erlaubt. Der Schutz der Wildnis steht an oberster Stelle – gleichzeitig verfolgen die Naturschützer einen Bildungsauftrag. Einen Überblick über das Programm gibt es online unter www.wildnisgebiet.at/erleben.

Das Ziel ist es, das Schutzgebiet den Menschen näher zu bringen, ohne ihm zu nahe zu kommen. Es geht darum, Aufmerksamkeit für dieses sensible Juwel zu erhaschen. Und ein Gefühl zu verbreiten, was es damit auf sich hat: mit einem Urwald, den es in dieser Form im Alpenraum kein zweites Mal gibt.

Wandern im Wildnisgebiet

Durch das Gebiet führen eine Handvoll Wanderwege, die für Besucher*innen freigegeben sind:

Der Wildnisweg führt vom Parkplatz Rothschild-Teiche im Steinbachtal auf einem kurzen Pfad Richtung Wildnisgebiet. Mehrere Infotafeln bieten einen ersten Einblick in die Welt der Eulen und erklärt zum Beispiel auch die wichtige Rolle von Totholz in einem natürlichen Waldgebiet.

Der Eulenweg beginnt im Anschluss an den Wildnisweg und führt tiefer in die Besucherzone des Schutzgebietes. Entlang des Bachs gibt es acht Mitmachstationen zu den fünf heimischen Eulenarten. Die Verlängerung auf den Tremel ist besonders aussichtsreich.

Der Moorweg führt durch das Naturschutzgebiet Leckermoos. Dort hat sich auf 860 Metern über dem Meeresspiegel ein außergewöhnliches Naturmoor gebildet. Der Rundweg ist zu jeder Jahreszeit sehenswert.

Der Luchstrail ist ein insgesamt 220 Kilometer langer Weitwanderweg, der durch die drei großen Schutzgebiete Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal, Nationalpark Kalkalpen und Nationalpark Gesäuse führt.

Hier geht’s zur Wanderung, die ich im Wildnisgebiet unternommen habe. Der Link führt dich zu komoot – dort kannst du nicht nur die Tour einsehen, sondern dir auch die GPX-Daten zum Nachwandern herunterladen.

Warst du auch schon einmal in einem Urwald unterwegs? 🌿
Ich freue mich auf deinen Kommentar!

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert